Vom Statthalter zum Alleinherrscher
Über Nacht stieg ein unbekannter, ausländischer Musikstudent zum
mächtigsten Dirigenten im Nachkriegs-Deutschland auf: Dem damals 33jährigen
Sergiu Celibidache wurde stellvertretend der Thron Furtwänglers angeboten.
Celibidache führte die Berliner Philharmoniker zu Triumphen und in
die größte Krise seiner Karriere: 14 Tage nach Furtwänglers
Tod schlossen die Philharmoniker mit Herbert von Karajan den Bund fürs
Leben. Celibidache verließ Berlin im Zorn, schwörte auf ewig
der Schallplatte ab und wanderte unstet über die mittleren Konzertpodien
der Welt:
Ein biographisches Essay von Klaus Weiler - Celibidache-Kenner, -Freund
und -Biograph. |
Gespaltenes München
Münchens Musikkritiker kannten nur ein Entweder-Oder: Hymnische Liebesbezeugungen
mischten sich im Falle Celibidaches oft mit spöttischen Verrissen.
Den Auftakt der Auseinandersetzung hatte kurz nach der Berufung des rumänischen
Dirigenten Joachim Kaiser in der "Süddeutschen Zeitung" gesucht und
über "Celibidaches Glanz und Grenzen" philosophiert (was den Dirigenten
in Zornesausbrüche trieb). FonoForum hat Kritiken zu den live mitgeschnittenen
Konzerten zusammengestellt - oftmals die besten Belege für Celibidaches
Kraft, Publikum und Presse zu polarisieren.
"Auf einer anderen Ebene"
Interview: Helmut Nicolai
Helmut Nicolai kehrte Herbert von Karajan den Rücken und suchte Zuflucht
bei Sergiu Celibidache - was zugleich den Ausstieg aus dem finanzbringenden
Plattengeschäft bedeutete. Der heutige Solobratscher der Münchner
Philharmoniker erinnert sich an seinen einstigen Chefdirigenten in Hochachtung
- insbesondere vor Celibidaches unbeugsam-philosophischem Anspruch.
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Der
besiegte Plattenfeind
Der größte Plattenfeind in der Geschichte des Mediums schien
besiegt. Durch eine auf mehrere Folgen angelegte CD-Edition, die alle Fragen
seiner Musikphilosophie untergräbt, aber zugleich auch neu stellt.
Wo liegen die Grenzen der CD? Welches Vermächtnis gibt uns Sergiu Celibidache
auf den Weg? |
"Ich
wollte nicht zu lange warten"
Interview: Serge Ioan Celebidachi
"Mach was du willst": Der erklärte Plattenfeind Sergiu Celibidache
hat seinem Sohn ein schweres Erbe überlassen: Serge Ioan Celebidachi,
Filmregisseur und Medienmann, hat sich für die Veröffentlichung
der Livemitschnitte mit den Münchner Philharmonikern entschlossen -
gegen den tieferen Willen seines Vaters? |
Kampf den Raubmitschnitten
Interview: Bernd Gellermann
Nach Celibidaches Tod hält es die Münchner Philharmoniker nicht
mehr in der Live-Eremitage. Man strebt zu CD-Sternen und -Einnahmen. Der
neue Intendant Bernd Gellermann gilt als Medienprofi, der auch die Feinheiten
des EMI-Vertrages einzufädeln wußte. |
"Celis letzte Lehre"
Interview: Hans Zender
Was kann ein Künstler mit CD-Aufnahmen erreichen? Kritisch vereint
in dieser Frage sieht Hans Zender die Figur Celibidache als hohe ethische
Gestalt. Für den dirigierenden Kollegen Zender ist die Celi-Edition
willkommen: als Dokument - mehr nicht. |
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Der besiegte Plattenfeind
Der größte Plattenfeind in der Geschichte des Mediums scheint
besiegt. Durch eine auf mehrere Folgen angelegte CD-Edition, die alle Fragen seiner
Musikphilosophie untergräbt, aber zugleich auch neu stellt. Wo liegen die Grenzen
der CD? Welches Vermächtnis gibt uns Sergiu Celibidache auf den Weg?
Dreck im Safe", titelte das Hamburger Nachrichtenmagazin "Der Spiegel". Auch
das versammelte deutsche Feuilleton konnte sich der Häme nicht enthalten, als
die EMI mit einer Sensation an die Öffentlichkeit trat: Celibidache (1912-1996)
ist käuflich, auf CD greifbar und entweihbar. Die ersten CDs stehen in diesem
Monat in den Läden, zwei weitere Boxen (darunter Celis Bruckner) werden folgen.
Der Celi-Sohn hat sein Erbe kaum ein Jahr nach Vaters Tod an die künstlerischen
Feinde des Maestros ausgeliefert. Wer die Dinge weniger emotional betrachtet,
sieht eine andere Wahrheit. Einer der großen geheimnisvollen Sätze des gläubigen
Buddhisten Celibidache besagt, daß auch in der Musik "der Anfang im Ende" liege.
Den "Anfang" seiner CD-Karriere suchte Celibidache selbst, als er im Februar 1948
in die zum EMI-Studio umfunktionierte Zwölf-Apostel-Kirche Berlin ging und gemeinsam
mit den Berliner Philharmonikern Prokofieffs "Symphonie Classique" einspielte.
Der 35jährige wird damals zweierlei erkannt haben: das (Mono-)Medium rumpelt,
rauscht und reduziert die Musik auf Konservenformat, zum anderen ist in einem
Aufnahmestudio nicht der Maestro Herr über das künstlerische Geschehen. Für den
aufbrausenden Rumänen war damit das Feindbild der "tönenden Pfannkuchen" besiegelt.
Als psychologisch interessantes Detail sollte zudem die beginnende Plattenkarriere
des ungeliebten Karajan nicht unterschätzt werden. So mußten mit Celibidaches
Amtsantritt an der lsar (1979) auch die Münchner Philharmoniker das Aufnahmestudio
meiden. Dabei hatte Rudolf Kempe die Musikergemeinschaft kurz zuvor zu einem immerhin
beachtlichen Ensemble im Dienste der EMI geformt. Nach dem Tod Celibidaches stehen
die Philharmoniker nun vor der größten Krise ihrer Geschichte: Man hat den Anschluß
an die Zeit und die Welt verpaßt. Das Leben in der Legende, im selbstgewählten
Reservat der Live-Präsenz drängt die Philharmoniker an den Rand des Musik-Geschäfts.
Dabei sind die Einnahmen aus CD- Produktionen heute nötiger denn je. Was auch
der große alte Charismatiker gewußt haben wird. Denn Celibidache soll - bei aller
Kritik - eine sehr ausgeprägte soziale Ader besessen haben. Für das Wohlergehen
der (Künstler- und Privat-)Familie hat Celi über sein Grab hinaus gesorgt - durch
Live-Mitschnitte, die mit seinem Wissen entstanden sind. Wie es dazu kam? Darüber
mehr auf den folgenden Seiten. Was daraus wird? Sicherlich das beste Faustpfand
der Münchner Philharmoniker für die eigene Medienzukunft und das schönste Hochzeitsgeschenk,
das sich vor der geplanten Vermählung mit dem CD-Millionär James Levine denken
läßt. (Andreas Günther FonoForum Dezember 1997)
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Interview: Serge Ioan Celebidachi
"Ich wollte nicht zu lange warten"
"Mach, was Du willst": Der erklärte Plattenfeind Sergiu
Celibidache hat seinem Sohn ein schweres Erbe überlassen. Serge loan Celebidachi,
Eilmregisseur und Medienmann, hat sich für die Veröffentlichung der Livemitschnitte
mit den Münchner Philharmonikern entschlossen - gegen den tieferen Willen seines
Vaters?
FONO FORUM: Bekommen Sie böse Briefe? Werden Sie als "Verräter" am geistigen
Erbe Ihres Vaters beschimpft?
CELEBIDACHI: Nein. Alle Briefe bestärken mich in meiner Entscheidung. In der Presse
habe ich ein paar böse Artikel gelesen. Aber momentan scheinen auch da die positiven
Meinungen zu überwiegen. Für mich bestand keine andere Möglichkeit...
Warum nicht? Sie hätten einfach Nein sagen können.
Mein Vater hat kein Testament hinterlassen. Für ihn war die Frage nicht von Interesse.
Für mich ist das etwas anderes. Ebenso wie er in der Musik nie sagte, "das muß
so und so gespielt sein". Der Musiker muß seinen Weg innerhalb des Orchesters
finden und seine Wahrheit einbringen. Und so ist es auch hier: Ich sollte das
selbst entscheiden. Ich habe ihm gesagt, da ß dies sehr schwer würde. Aber wir
haben nicht sehr oft über dieses Thema gesprochen. Denn ich habe gesehen, daß
er nicht sehr froh über die Fragen war.
Ist es nicht auch vorstellbar, daß Ihr Vater mit dem Nichtverbot der Veröffentlichungen
auch an Ihren Lebensunterhalt gedacht hatte?
Wenn er das gedacht haben sollte, dann hat er es mir nie mitgeteilt. Es kann sein.
Für mich ist die einzige Lösung, das Geld einem guten Zweck zuzuführen. Alles
ist für zwei Stiftungen bestimmt - eine musikalische, eine humanitäre. Mit jedem
Pfennig. Nicht ein einziges Prozent wird an die Familie, an meine Mutter oder
mich gehen
Und mit dem Geld, daß Ihnen Ihr Vater hinterlassen hat, könnten Sie problemlos
bis zu Ihrem eigenen Lebensende haushalten?
Das würde ich nicht so sagen. Kommt darauf an, welchen Lebensstandard man hat.
Aber er war nicht der Typ eines Vaters, der das Leben seines Sohns durchplant.
Ich muß meinen eigenen Weg finden.
Was ist Ihr Weg?
Ich bin Filmregisseur und ich schreibe. Ich hatte das richtige Gefühl, einen Film
über meinen Vater zu machen. Ich wollte mitteilen, wieviel schöne Dinge ich in
meinem Leben mit diesem Mann erlebt habe. Ein Mann, mit soviel Liebe.
Sie haben Ihn auch als "Vater" im übergeordneten, religiösen Sinn bezeichnet.
Sind sie selbst auch Buddhist?
Ja. In Gedanken und Philosophie habe ich mich immer meinem Vater verbunden gefühlt.
Haben Sie noch über seinen Tod hinaus Kontakt zu ihm?
Neun Monate nach meines Vaters Tod wurde meine Tochter geboren - das ist meine
Anwort auf die Frage.
Sehen Sie einen künstlerischen Nachfolger für das Amt Ihres Vaters?
Sie meinen einen Dirigenten, heute? Meine Hoffnung ist, daß seine Beispiele andere
auf ihrem künstlerischen Weg beeinflussen könnten. Die Münchner Philharmoniker
sind eine große Institution - sie brauchen einen Namen. Ich hätte schon früher
sagen können, daß einer wie Levine kommen wird. Sie brauchen die Medien, um weiterzukommen.
Sie würden nie Sponsoren finden. Sie verlieren ihre Arbeit, wenn ein Unbekannter
käme, der vielleicht auch große Musik zu machen versteht. Ich habe Angst. Ich
weiß, daß mit der Zeit nicht sehr viel bleiben wird von meinem Vater. Auch deswegen
sind die Platten gut...
Warum die CDs jetzt? Warum nicht in drei, nicht in fünf Jahren?
Ich wollte nicht zu lang warten. Die Piraten müssen von Anfang an bekämpft werden.
Eine Frage noch: an Ihrem Handgelenk - ist es das berühmte Armband Ihres
Vaters?
Ja natürlich. Ich lebe keinen Tag ohne das.
(Andreas Günther FonoForum Dezember 1997)
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Interview: Hans Zender
"Celis letzte Lehre"
Was kann ein Künstler mit CD-Aufnahmen erreichen? Kritisch
vereint in dieser Frage sieht Hans Zender die Figur Celibidache als hohe ethische
Gestalt. Für den dirigierenden Kollegen Zender ist die Celi-Edition willkommen:
als Dokument - mehr nicht.
FONO FORUM: Ist der Zauber der Improvisation, ist die Magie nun dahin, da
Celibidaches Vermächtnis auf CD vorliegt - für alle Welt greif- und gebrauchbar?
HANS ZENDER: Sagen wir es lieber so: Durch diese Aufnahmen ist die Magie
der erlebten Gegenwart der festgehaltenen Erinnerung gewichen. Celibidache hat
uns durch seine Weigerung, seine Karriere mit Hilfe der Schallplatte zu machen,
ein moralisches Beispiel gegeben: Er wollte darauf hinweisen, daß die tiefsten
Schichten der Musik sich nur in der Situation eines Live-Konzerts erschließen.
Er verpflichtete dabei nicht nur sich, sondern auch das Publikum, sich immer wieder
dieser nicht reproduzierbaren Situation zu stellen - einem Live-Konzert, indem
der Interpret ein Werk in seiner Ganzheit auf eine neue, vielleicht ganz neuartige
Weise hervorbringt. Das Publikum gehört zu dieser Neuproduktion dazu - es arbeitet
mit, ebenso die Akustik des Saales, das Wetter, die Tagesform. All das ist natürlich
selbst beim Abhören der schönsten Aufnahme nicht mehr möglich. Es kann kein Feedback
geben. Im Kern hat mich die Weigerung Celibidaches an die Lebenshaltung mancher
Schauspieler erinnert, die nur auf dem Theater präsent sein wollen und nicht im
Film. Eine bestimmte Qualität ist eben nur auf dem Podium zu erreichen. Die technischen
Medien machen das Erleben von Kunst zwar müheloser, zugleich aber auch viel flacher:
alles wird zu einer eindeutigen Information zusammengepreßt - doch Kunst ist unendlich
vieldeutig in der Wirklichkeit ihres Erscheinens. Das, glaube ich, wollte uns
Celibidache zeigen - das hat er uns gezeigt. Und genau deshalb habe ich keine
Probleme damit, daß nun die akustischen Erinnerungen an seine Arbeit verfügbar
sind. Im Gegenteil. Celi gibt uns hier eine letzte Lehre und sagt indirekt: Die
Schallplatte ist nichts anderes als eine Dokumentation vergangener musikalischer
Augenblicke.
Widerspricht der imperfekte Live-Mitschnitt nicht den hohen Ansprüchen Celibidaches?
Hätte ein solch unerbittlicher Kopf - wenn er wirklich CDs gewollt hätte - nicht
eher das Studio vorgezogen ?
Jetzt sind wir wieder beim "Marionettentheater" - das nie und nimmer im Studio
funktionieren könnte. In der Situation des Nichtgezinkten eine Nummer ohne Netz
zu wagen - das kann im Studio selbst ansatzweise nicht nachgestellt werden. Die
Perfektion des Studios ist eine andere Perfektion als die, nach der Celibidache
strebte. Im Studio herrscht die Perfektion der Stückelung: die besten Momente
tage- oder wochenlanger Arbeit werden aneinandergesetzt. Ich will dagegen gar
nicht polemisieren - dazu habe ich selbst genug Studioproduktionen gemacht. Doch
die Qualität des Ganzheitlichen ist im Studio nicht möglich.
Selbst mit dem höchsten technischen Aufwand kann der CD-Hörer im privaten
Wohnzimmer nicht nachstellen, wie genau Celis Ideal an jenem Münchner Mai-Abend
1991 war, an dem er die fünfte Sinfonie Tschaikowskys dirigierte...
Genau. Wobei der Raum das größte Problem darstellt. Auf ihn muß sich der live
arbeitende Künstler mit all seinen Kräften einstellen. Ein ganz anderer Raum ist
dagegen der virtuelle Raum, den letztlich erst der Techniker im Studio produziert.
Dieser Raum wird normalerweise vom Dirigenten gar nicht mitverantwortet. Der wird
von der Plattenfirma, vom Rundfunk artifiziell und nach eigenen Wertmaßstäben
hergestellt. Hier wird stets versucht, eine Ideallösung zu finden. Doch die gibt
es nicht. Denn ein realer Saal birgt immer auch weniger ideale Details. Man kann
einen Pfeiler vor der Nase haben oder ein Echo von links. Das gehört mit zum Live-Erlebnis
- auch die Imperfektion. Eine Perfektion, die uns die Technik vorgaukelt, ist
immer nur ideal in dem vom Techniker gewollten Sinn. Wir verfallen allzu leicht
diesem Zauber, der von der Technik beherrscht wird, nicht vom Künstler.
Ist das nicht ein wenig vorschnell? Schließlich hatte sich ein Mann wie Karajan
als Meister beider Formen verstanden; ein Machtmensch, der wie kein anderer das
Celibidache gegenüberstehende Ideal verkörperte. Könnte Celibidaches Plattenfeindschaft
im Kern nicht auch eine trotzige Geste gegen den ungeliebten Karajan gewesen sein?
Ja, das hat sicher damit zu tun. Doch unterschätzen Sie Celis moralischen Impuls
nicht: Das Lebendige steht über dem Reproduzierbaren. Die Platte ist für den Nutzer
zwar bequemer, aber sie schließt eine ganz entscheidende Qualität von Musik aus.
Nämlich die zeitliche "Rundung" - die Identität von meiner Lebenszeit mit einer
Aufführung auf dem Podium.
Ihr Wort von der "Rundung" ähnelt einem der kryptischen Sätze Celibidaches,
nachdem "der Anfang im Ende" liege...
Mich erinnert dieser Ausspruch an einen Satz meines Freundes Bernd Alois Zimmermann:
Wenn ich den ersten Takt eines Stückes schreibe, muß ich schon den letzten im
Kopf haben.
Die berühmte "Kugelgestalt der Zeit"?
Fast. Es ist eher das Gefühl für die organische Ganzheit - eine Intuition, über
die jeder Musiker verfügt. Und auch der Hörer kann das nachvollziehen. Wenn ich
dagegen das selektive Hören per CD betreibe, dann gebe ich mich eher einem intellektualistischen
Prozeß hin. Ich entziehe mich dem Diktat der strömenden Zeit. Hier hat Celibidache
einen unendlich wichtigen Impuls - vielleicht unbewußt -aufgegriffen, den die
große Musik dieses Jahrhunderts gibt. Nehmen Sie Schönberg, die Zweite Wiener
Schule, Messiaen: Dieses Ethos einer Musik, die an den Hörer bestimmte Forderungen
stellt - und sich nicht als Lustobjekt anbietet. Dieses Querstehen zum allzu leicht
Genießbaren - auch die Schallplatte kann ja sehr leicht zum oberflächlichen Hören
verführen und zu einer bestimmten Art musikalischer Halbbildung beitragen. Obwohl
sie auch Chancen in sich trägt, den Horizont zu erweitern - gerade was die neue
Musik angeht. Aber Celi hat leider die große, neuartige Musik unseres Jahrhunderts
ignoriert und das ist etwas, daß ich ihm nie verzeihen werde. Ich halte es für
die vornehmste Aufgabe jedes Interpreten, das frisch entstehende musikalische
Leben zu fördern und zu unterstützen. Hier hätte Celi seinen "ethischen Impuls"
als Musiker zur Vollendung bringen können, wenn er seinen einmaligen Klangsinn
und seine Genauigkeit auch in den Dienst der neuen Musik gestellt hätte. Aber
so etwas ist ja der Karriere nicht förderlich... So werden wir sicher in seinen
neuen CD-Boxen auf keinen Webern, keinen Messiaen, keinen Zimmermann, keinen Feldman
stoßen. Wie schade! Stellen Sie sich vor: ein Feldmansches Pianissimo - von Celi!
(Andreas Günther FonoForum Dezember 1997)
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Interview: Bernd Gellermann
Kampf den Raubmitschnitten
Nach Celibidaches Tod hält es die Münchner Philharmoniker nicht mehr in der live-Eremitage. Man strebt zu CD-Sternen und -Einnahmen. Der neue Intendant Bernd Gellermann gilt als Medienprofi, der auch die Feinheilen des EMI-Vertrags einzufädeln wusste.
Bernd Gellermann steht seit Herbst 1997 den Philharmonikern als Intendant vor. Der 55jährige gilt als Hoffnungsträger des Orchesters auf dem Weg zu einer neuen Medienpräsenz. Beste Verbindungen zur CD-Industrie pflegt Gellermann seit 1983, als er zum Geschäftsführer der Berliner Philharmoniker aufstieg. In der Übermacht der Manager-Intendanten nimmt Gellermann eine Sonderrolle ein: Der Musikersohn aus München studierte am Richard-Strauss-Konservatorium Violine und spielte fünf Jahre als Konzertmeister im 0rchester des Staatstheaters am Gärtnerplatz auf. 1971 wechselte Gellermann ins Berliner Philharmonische 0rchester, übernahm den führenden Geigenpart im Philharmonischen Oktett und gründete 1987 die Berliner Solisten. Durch Gellermanns Engagement sind die Münchner Philharmoniker nun auch auf CD-R0M präsent - digitales Paradebeispiel der schweren Suche nach neuen Ufern. Gellermann überwachte im Namen der Münchner Philharmoniker die Vertragsverhandlungen mit der EMI.
FONO FORUM: Die Kernfrage zuerst: Wer besitzt die Rechte an den Celibidache-Bändern?
BERND GELLERMANN: Die Rechte an den Mitschnitten sind verteilt. Zum einen sind es die Leistungsschutzrechte der 0rchestermitglieder, zum anderen natürlich die Leistungsschutzrechte von Maestro Celibidache. So konnten die Philharmoniker nur gemeinsam mit den Erben Celibidaches zu einer einvernehmlichen Lösung gelangen. Celibidache hatte von 1979 an zugelassen, dass seine Konzerte aufgezeichnet werden. Da Celibidache die Nutzung der Mitschnitte nie eindeutig testamentarisch untersagt hat, können wir nun mit einer autorisierten Edition gegen die Flut miserabler Raubmitschnitte ankämpfen. Man kann doch nicht zuschauen, wie unprofessionelle Aufnahmen die Interpretationen Celibidaches einem interessierten Publikum vermitteln. Genau diese Problematik löste bei den Philharmonikern und bei der Familie die Zusammenarbeit mit einer großen CD-Gesellschaft aus.
Hatte das Orchester Einfluss auf die Auswahl der Bänder, auf die Details, wie die Celibidache-Edition kombiniert werden sollte?
Ja, komplett. Das 0rchester hat eine Vorschlagsliste erarbeitet und bei der EMI eingereicht. Man war überzeugt, dass alle Werke dieser Liste exemplarisch dargestellt worden sind. Im Vorfeld hatten der Orchestervorstand und die verantwortlichen Musiker alle Bänder durchgehört. Eine schwere und vor allem lange Arbeit schließlich wurden seit 1979 alle Konzerte mitgeschnitten.
Von den Haus-Tontechnikern?
Zum größten Teil. Einige Aufnahmen der CD-Box entstammen dem Archiv des Bayerischen Rundfunks, der pro Jahr eine bestimmte Anzahl von Konzerten aus dem Gasteig übertragen durfte. Alle Bänder sind professionell und zum größten Teil auch volldigital entstanden.
Sie deuteten an, dass Celibidache von den Mittschnitten gewusst hat, sie in seinem Testament jedoch nicht ausdrücklich mit einem juristischen Bannfluch belegte trotz seines vernichtenden Urteils über die Unmöglichkeiten der Schallplatte. Die vorliegende CD-Box erscheint damit fast als geschickte Selbstinszenierung Celibidaches über sein Grab hinaus hat er insgeheim mit seinem CD-Ruhm gerechnet?
Da muss ich passen. Das wäre reine Spekulation. Ich sage nur: Wenn jemand zulässt, dass etwas aufgezeichnet wird, dann muss er auch damit rechnen, dass es zu irgendeinem Zeitpunkt veröffentlicht wird. Aber vielleicht wollte er nur mit diesem ganzen Procedere der Veröffentlichung seiner Aufnahmen nichts zu tun haben.
Ihnen wird ein ausgeprägtes Gespür für Marketing und Medienpräsenz nachgesagt. Haben Sie auf die Münchner Philharmoniker eingewirkt, dass die Celi-Edition zu diesem Zeitpunkt herauskommt und dazu noch bei der EMI?
Es stimmt, dass ich meine Erfahrung auf diesem Gebiet eingebracht habe - damit der Vertrag für alle Seiten zufriedenstellend abgeschlossen wird Meine Aufgabe war es nur, darauf zu achten, dass der Vertrag ausgewogen ist.
Das verheimlicht mehr, als es offenbart. Anders gefragt: Die EMI brüstet sich selbst damit, dass sie nicht derjenige Konzern gewesen sei, der das meiste Geld geboten habe, aber dennoch den Zuschlag bekam.
Letztendlich ist das Gesamtkonzept, das die EMI vorgelegt hat, am überzeugendsten gewesen. Uns interessierte der große Bogen, den die CD-Edition nun durch das gemeinsame künstlerische Wirken Celibidaches mit den Münchner Philharmonikern zeigt.
Werden die gläubigen Celibidache-Anhänger die CD-Box verteufeln oder als Fetisch im CD-Regal hüten?
Beides wird geschehen. Sicherlich werden einige Celi-Anhänger „auf dem Pfad der Tugend" bleiben und diese Edition bewusst nicht erwerben: weil sie sich das Erlebnis, das sie über Jahre hinweg im Konzertsaal hatten, behüten wollen. Andere hingegen wollen nun nachvollziehen: War es wirklich so gut, wie ich es in meiner Erinnerung aufbewahre? Ich vergleiche das mit einer Fotografie - eine Parabel, die auch der Celi-Sohn Serge sehr treffend in jedem CD-Booklet anführt: Wenn ich einen Menschen schätze und ihn fotografiere, so besitze ich nicht ihn, sondern nur ein Abbild. Ein Abbild jedoch, das mir einen Zugang ermöglicht. Vielleicht sehen das auch sehr viele Celi-Fans so.
Tritt Celibidache hier nicht mit einem Handicap an? Nehmen wir den direkten Vergleich zu Karajan der das Medium Schallplane nicht nur finanziell, sondern auch künstlerisch sehr sinnig zu nutzen wusste. Jede Platte und CD segnete Karajan im Tonstudio als sein Ideal ab. Doch Celibidache hat seine Bänder nie abgehört. Wir lauschen einem Kunstprodukt, zudem noch behaftet mit der heiklen Akustik der Gasteig-Philharmonie. Sehen Sie Celi abermals Karajan gegenüber im Hintertreffen?
Die meisten Aufnahmen aus dem Gasteig sind natürlich unter problematischen Umständen entstanden. Nur die frühen Bänder stammen aus dem Herkulessaal - den ja auch andere Schallplattenfirmen zu nutzen wissen. Doch hinter Ihrer Frage verbirgt sich ein grundlegender Gedankengang, gegen den ich ankämpfen will: Was erhebt Künstler wie Celibidache und Furtwängler, die kaum oder keine Schallplatten aufgenommen haben, grundsätzlich in den Rang der ,,besseren" Interpreten? - während sich andere der scheinbar niedrigen Stufe des Massenmarkts geöffnet haben. Ist denn eine Callas wirklich eine schlechtere Sängerin, nur weil sie auch Schallplatten gemacht hat? Ist Karajan wirklich der schlechtere Dirigent, nur weil er das Medium anders gesehen und eingeschätzt hat? Ein Mann wie Celibidache war natürlich dem Furtwänglerischen Ideal verpflichtet. Doch vergessen wir nicht: Furtwängler lebte zu einer Zeit, in der Schallplatten und Rundfunk von den Musikern nebenbei produziert wurden, mit leichter Hand und ohne Anspruch auf letztgültige Wahrheiten. Außerdem steckte die technische Entwicklung in den Kinderschuhen. Vor sechzig Jahren wagte man sich die heutigen Wiedergabemöglichkeiten nicht vorzustellen. Insofern kommt Karajan auch die Rolle eines Visionärs zu. Da muss man differenzieren
lm Umkehrschluss könnte das heißen, dass Celibidache nur deshalb keine Schallplatten aufgenommen hat, weil er nicht auf dem Stand des technisch Möglichen war?
Nein. Schließlich hätte er sich in späteren Jahren den Möglichkeiten der Tontechnik anschließen können. Aber er wollte sich selbst treu bleiben. Doch hier Karajan und Celibidache zu vergleichen, wäre verfehlt.
Dann vergleichen wir lieber die 0rchester. Karajan liebte ein brillantes, hocherregtes Tremolo – „bis ihnen der Arm abfällt", soll er den Orchestermusikern zugerufen haben. Celibidache hingegen pflegte den gedeckteren, schwereren Streicherklang. ln einem Interview rühmte sich Celibidache, das einzige ,,deutsche" Orchester in München geformt zu haben...
Mit dem Begriff ,,deutsch" hat er ja öfters hantiert. Er hat ja auch bei der Probenarbeit zu der legendären Bruckner-Sinfonie in Berlin gesagt: „Vibrieren sie „deutsch“. Was ist ein „deutsches“ Vibrato? Er meinte dann einfach ein langsameres Vibrato, das den virtuosen Ambitionen vieler Geiger entgegensteht. Aber ich weiß nicht, ob er hier in München wirklich ein Gegenorchester aufbauen wollte. Er suchte schlicht nur nach einem 0rchester, das seine Vorstellungen verwirklichen konnte. Das flirrende Tremolo einer Bruckner-Sinfonie, wie es der ästhetischen Vorstellung Karajans entsprochen hat, ist eben nur ein Schönheitsideal. Celibidache wollte dagegen eine völlig andere Klangstruktur - die aber auch im höchsten Maß reizvoll ist. Hier zwischen gut und schlecht zu unterscheiden, ist nicht möglich - als professioneller Musiker müssen sie beides realisieren können.
Bei Celibidaches Amtsantritt in München spaltete sich das Orchester schnell in faszinierte und feindliche Gruppen. Alte Musiker-Freundschaften sollen darüber zerbrochen sein. Nun steht James Levine vor den Toren Münchens. Fiel die Wahl des Orchesters einmütig aus? Ist der Met-Chef auch der Favorit der Celibidache-Fraktion?
Die Entscheidung des Orchesters für Herrn Levine ist einheitlich. Das 0rchester weiß, dass Celibidache hier eine Ära aufgebaut hat, Man erkennt nun aber auch, dass diese Epoche zu Ende gegangen ist. Man muss eine Fortsetzung der 0ualität finden - vielleicht in einer anderen interpretatorischen Ausrichtung.
Spielt Levines Ruf als erfolgversprechender CD-Dirigent eine Rolle?
Überhaupt nicht! Der Umstand, dass Dirigenten mit ausgeprägtem Interpretationsstil auch Aufnahmen machen, gehört heute zum Arbeitsalltag eines Orchesters. Sicherlich wäre man sehr glücklich, wenn Herr Levine auch mit den Philharmonikern Aufnahmen machen wurde. Aber für die Auswahl des Chefdirigenten war das kein Kriterium.
Andreas Günther (FonoForum Dezember 1997)
©Copyright FonoForum top
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Vom Statthalter zum Alleinherrscher
Über Nacht stieg ein unbekannter, ausländischer Musikstudent zum mächtigsten Dirigenten im Nachkriegs-Deutschland auf: Dem damals 33jährigen Sergiu Celibidache wurde stellvertretend der Thron Furtwänglers angeboten. Celibidache führte die Berliner Philharmoniker zu Triumphen und in die größte Krise seiner Karriere: 14 Tage nach Furtwänglers Tod schlossen die Philharmoniker mit Herbert von Karajan den Bund fürs Leben. Celibidache verließ Berlin im Zorn, schwörte auf ewig der Schallplatte ab und wanderte unstet über die mittleren Konzertpodien der Welt.
Ein biographisches Essay von Klaus Weiler Celibidache-Kenner, -Freund und -Biograph.
Sergiu Celibidache wurde am11.7.1912 (nach dem damals bis 1918 in Russland und Rumänien noch geltenden Julianischen Kalender am 28.6.1912) in Roman in Rumänien geboren. Der Vater, ein Kavallerieoffizier, war nach Celibidaches Angaben sehr musikalisch, hatte aber für seinen Sohn eine politische Laufbahn vorgesehen. Der junge Sergiu jedoch - er saß schon mit vier Jahren am Klavier - interessierte sich weit mehr für Musik und erhielt eine strenge neunjährige musikalische Ausbildung. Da der Vater auch nach dem glänzenden Abitur seines Sohnes auf seinen Plänen bestand, kam es zur frühen Trennung vom Elternhaus. Celibidache studierte seit Anfang der dreißiger Jahre zunächst in Jassy, dann in Bukarest Mathematik, Philosophie und Musik. 1935/36 finden wir ihn in Paris, wo er sein Musikstudium intensivierte und mit einer Jazzkapelle arbeitete. Im Herbst t936 kam er nach Berlin und setzte dort seine Studien an der Musikhochschule und der Friedrich-Wilhelms-Universität fort. Zu seinen Lehrern gehörten Persönlichkeiten wie Heinz Tiessen, Walter Gmeindl, Hugo Distler, Kurt Thomas, Fritz Stein, Arnold Schering, Georg Schünemann, Nicolai Hartmann und Eduard Spranger. Seine Doktorarbeit über Josquin des Pres ging in den Wirren der letzten Kriegsmonate verloren; zur Promotion ist es nie gekommen.
Celibidaches große Stunde schlug im August 1945, als er nach dem tragischen Unfalltod Leo Borchards (am 23.8., des ersten Nachkriegsdirigenten der Berliner Philharmoniker) an die Spitze des berühmten 0rchesters trat. Beim Probedirigieren hatte er die Musiker von seinen Fähigkeiten überzeugen können. Sein erstes Konzert mit den Berliner Philharmonikern am 29.8.1945 wurde zum Sensationserfolg - obwohl er vorher noch nie ein Sinfonieorchester dirigiert hatte. Auch die folgenden Konzerte bestätigten seinen Ausnahmerang; er wurde zum erklärten Liebling des Berliner Musikpublikums. Bereits lm Dezember 1945 ernannten ihn die Alliierten zum Lizenzträger der Berliner Philharmoniker für alle vier Besatzungszonen; im Februar 1946 wählten ihn die Orchestermitglieder einstimmig zu ihrem künstlerischen Leiter – bis zur erwarteten Rückkehr Wilhelm Furtwänglers.
Rückkehr des Altmeisters
Nach der Entnazifizierung Furtwänglers am 1.5.1947 änderte sich vorerst nichts in der Leitung der Berliner Philharmoniker. Celibidache blieb bis 1952 mit ausdrücklicher Billigung Furtwänglers Chefdirigent, während dieser nur als Gastdirigent in Erscheinung trat. Er schätzte den Jüngeren und wusste das 0rchester in guten Händen. Alles schien in bester Harmonie - und doch steuerte man auf einen tiefgreifenden Konflikt zu. Celibidache hatte sich durch sein überschäumendes Temperament, seine Ungeduld und seine extremen Anforderungen Feinde im Orchester geschaffen. Viele betrachteten die Interimszeit als beendet und riefen nach ihrem alten Chefdirigenten. Der aber wollte seine frühere Position nicht einnehmen, sondern sich lieber dem Komponieren und Konzerten im Ausland widmen.
Celibidache geriet zwischen die Fronten. Auch Furtwängler wandte sich spürbar von dem Jüngeren ab, aus niemals ganz geklärten Gründen - Eifersucht mochte dabei eine Rolle gespielt haben. Nach Furtwänglers Tod am 30.11.1954 wählte das Orchester bereits am 13.12. Herbert von Karajan zum Nachfolger - Celibidache hatte es in 414 Konzerten dirigiert, vorerst zuletzt am 29.11.1954, einen Tag vor Furtwänglers Tod.
Trotzige Wanderschaft
Celibidache verließ Berlin im Zorn. Er wurde zum ruhelosen Wanderer. Zunächst entfaltete er eine intensive Konzerttätigkeit in Italien: Das 0rchester der Mailänder Scala dirigierte er bis 1967 in den jeweils ersten Konzerten einer Spielzeit, und auch mit dem Orchester der Academia di Santa Cecilia in Rom arbeitete er seit 1965 regelmäßig. Ferner finden wir ihn als häufigen Gast bei den Rundfunksinfonieorchestern von Rom, Mailand, Turin, Neapel, Bologna und Florenz. Am7.10.1957 dirigierte er, von Publikum und Presse enthusiastisch begrüßt, das Radio-Sinfonie-0rchester Berlin in einem Festkonzert zu Ehren des 7o. Geburtstages seines Kompositionslehrers Heinz Tiessen. 1957/58 leitet er mehrere Konzerte des Sinfonieorchesters des WDR in Köln; 1960-1963 kommt es zur engen Zusammenarbeit mit der Königlichen Kapelle Kopenhagen; 1963-1971 ist er ständiger Gastdirigent und künstlerischer Leiter des Sinfonieorchesters des Schwedischen Rundfunks in Stockholm und anschließend von 1972-1977 in der gleichen Eigenschaft beim Radio-Sinfonieorchester Stuttgart tätig, vom Dezember 1973- 1975 auch beim Orchestre National de l'ORTF in Paris. 1966 konzertiert er mit der Berliner Staatskapelle, 1969/70 mit den Bamberger Sinfonikern, 1978 mit dem NHK-Sinfonieorchester Tokio, dem London Symphony Orchestra und dem Rheinlandpfälzischen Staatsorchester - in steter Feindschaft zur Schallplatte.
Erste und letzte Schallplatten
1948 hatte er mit den Berliner Philharmonikern deren erste Nachkriegsschallplatte aufgenommen, Die „Symphonie Classique" von Prokofieff und das Violinkonzert von Mendelssohn mit Siegfried Borries. Im gleichen Jahr wurde die fünfte Sinfonie von Tschaikowsky mit dem London Symphony 0rchestra aufgezeichnet. Celibidaches 1980 mit dem Radio-Sinfonieorchester Stuttgart aufgenommene eigene Komposition „Der Taschengarten" diente einem guten Zweck: Der Reinerlös war bestimmt für das Kinderhilfswerk der UNICEF. Dies sind die einzigen von ihm autorisierten Aufnahmen. Celibidaches frühe Erfahrungen mit Studioaufnahmen waren für ihn höchst unbefriedigend ausgefallen; vielleicht fehlte es ihm auch an Geduld. Das Entscheidende aber war, dass er dem unmittelbaren Konzerterlebnis, dem lebendigen Musizieren und den dadurch angeregten Empfindungen und Eindrücken den absoluten Vorrang vor der Platte einräumte. Seine phänomenologisch und ästhetisch begründete Anschauung vom „Werden der Musik" ließ ihn deren Fixierung auf Tonträger als völlig absurd erscheinen, zumal die physikalischen Bedingtheiten des Mikrophons und des Tonträgers selbst der musikalischen Realität nach seiner Ansicht nicht gerecht werden können. Das Mikrophon, so argumentierte er, sei nicht imstande, die 0bertonreihe wiederzugeben, die das menschliche 0hr im Konzertsaal wahrnehmen könne.
Umstrittene Heimat München
Als Celibidache 1979 nach München kam, war er dort kein Unbekannter mehr: er hatte die Stadt wiederholt besucht und sich mit den von ihm geleiteten Orchestern feiern lassen. Seine erste Konzertreihe mit den Münchner Philharmonikern am 14., 15. und 17.2.1979 wurde zur Sensation der laufenden Saison: Beifallsstürme des Publikums und eine sich vor einmütiger Begeisterung überschlagende Presse. Im Juni des gleichen Jahres erfolgte dann die Ernennung Celibidaches zum Generalmusikdirektor der Stadt München und damit zum Chefdirigenten der Münchner Philharmoniker. Begleitet wurde dieses Ereignis durch unerwartete Töne: Münchens oberster Musikkritiker Joachim Kaiser hatte Celibidaches zweite Konzertreihe einer strengen Kritik unterzogen und grundsätzliche Zweifel an seiner Eignung für das ihm übertragene Amt angemeldet. Der Maestro antwortete mit einem seiner gefürchteten Rundumschläge und zog sich grollend nach Paris zurück, seiner zweiten Heimat. Aber er kam wieder und kämpfte gegen die Bedenken an seiner Berufung an - mit einer Aufführung der achten Sinfonie von Anton Bruckner am 15.10.1979 in der Lukaskirche.
Celibidache hatte versprochen, aus den Münchner Philharmonikern ein Weltorchester zu formen, das er in relativ kurzer Zeit bereits zu Konzertreisen im In- und Ausland führte (1981- 1984). lm Sommer 1984 kam es im Zusammenhang mit einer ernsten Erkrankung des Maestros zu einer schweren Vertrauenskrise zwischen ihm und der Stadt München, in deren Verlauf er auf sein Amt verzichten zu müssen glaubte. Nachdem auch Oberbürgermeister Kronawitter unnachgiebig blieb, verabschiedete sich Celibidache am 19.11.1984 von seinem 0rchester. Doch die Mehrheit der 0rchestermitglieder, die in München lebenden Komponisten und auch die meisten Musikkritiker sowie prominente Mitglieder des Stadtrates kämpften für Celibidaches Rehabilitierung. Am 17.1.1985 kam es zur Versöhnung zwischen beiden Parteien, und am 23.2. erfolgte Celibidaches Rückkehr ans Pult der Münchner Philharmoniker - rechtzeitig zur Einweihung des Gasteig-Kulturzentrums mit der neuen Philharmonie, bei der Celibidache die Festkonzerte am 10./11.11.85 leitete.
Für Bruckner nach Berlin
Die weitere Entwicklung verlief im Wesentlichen ungestört. Zahlreiche Konzertreisen führten Celibidache und die Philharmoniker in fast alle europäischen Länder, aber auch nach Nord- und Südamerika, in die ehemaligen Ostblockstaaten sowie in die fernöstliche Welt, vor allem wiederholt nach Japan, das der Buddhist Celibidache seine geistige Heimat empfand. Am 31.3. und 1.4.1992 dirigierte er auf Einladung des Bundespräsidenten Weizsäcker zum ersten mal seit mehr als 37 Jahren wieder die Berliner Philharmoniker mit Bruckners siebter Sinfonie. An seinem 8o. Geburtstag wurde er zum Ehrenbürger der Stadt München ernannt und vom Bundespräsidenten mit dem Großen Bundesverdienstkreuz mit Stern ausgezeichnet.
Mit fortschreitendem Alter milderte sich seine Abneigung gegen die Medien. Angeregt durch seinen filmenden Sohn Serge erhob er keine Einwände mehr gegen Video-Kassetten, die er aber eher in den Bereich der „Show" abschob.
Die letzten Jahre Celibidaches waren von Krankheiten überschattet. Schon 1992, kurz vor seinem Berlin-Auftritt, erlitt er einen leichten Herzanfall. Im Sommer 1994 wurde ihm ein Herzschrittmacher eingesetzt, in der Nacht zum 11.5.1995 stürzte er in seinem Hotelzimmer in Florenz: Oberschenkelhalsbruch. Von der anschließenden 0peration hat er sich nie mehr erholt. Er dirigierte nur noch wenige Konzerte in München. Sein letztes Konzert leitete er am 4.6.1996 -mit fast jugendlichem Temperament. Celibidache starb am 14.8.1996 an einem Herzinfarkt in Nemours und wurde bereits am 16.8. in Neuville-sur-Essonne, in der Nähe seines Landsitzes, beigesetzt. Keine Musik, keine Reden, keine Honoratioren - eine Beerdigung in Stille auf
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Interview: Helmut Nicolai
"Auf einer anderen Ebene"
Helmut Nicolai kehrte Herbert von Karajan den Rücken und suchte Zuflucht bei Sergiu Celibidache - was zugleich den Ausstieg aus dem finanzbringenden Plattengeschäft bedeutete. Der heutige Solobrotscher der Münchner Philharmoniker erinnert sich an seinen einstigen Chefdirigenten in Hochachtung - insbesondere vor Celibidaches unbeugsam-philosophischem Anspruch.
Helmut Nicolai (53) wechselte Anfang der 80er Jahre die philharmonischen Seiten: von Berlin nach München, von der Plattenkarriere ins Niemandsland, vom technisch-perfektionistischen Chefdirigenten zum schwer-greifbaren Mystiker. Celibidache stieg zum Faszinationspunkt in Nicolais Musikerlaufbahn auf. Der heutige Solobratscher der Münchner Philharmoniker erlebte Celibidaches letzte Lebensjahre als späte Wandlung: Das forsche „Nein" des Maestro gegenüber den Musikern sei zunehmend einer anderen Phrase gewichen – „Ich bin glücklich".
FONO FORUM: Sie haben 13 höchst erfolgreiche Jahre bei den Berliner Philharmonikern gearbeitet. War es der Sog Celibidaches, der Sie hierher nach München brachte oder die Flucht vor Karajan?
HELMUT NICOLAI: Das war ein Konglomerat von Ereignissen. Zum einen ging mir Berlin auf die Nerven mit seiner Mauer, zum anderen habe ich bei den Berliner Philharmonikern meine Jugend verbracht. Wenn man reifer wird, verlässt man ja auch mal die „Big Mother", zum anderen wollte ich auch Solobratscher werden.
Aber die „Große Mutter" hatte Ihnen wesentlich mehr Geld gezahlt.
Wesentlich mehr. Als ich hier angefangen habe, verdiente ich die Hälfte von meinem Berliner Gehalt. Aber für mich war der Zeitpunkt gekommen, an dem es sich mit Karajan erschöpft hatte.
Wann genau war das?
1981. Ich brauchte etwas anderes. Und die einzige Alternative war dann tatsächlich Celibidache - der Einzige, der dieser Person Karajan etwas entgegenzusetzen hatte.
Beide hatten einen Hang zum Despotischen oder täuscht der äußere Eindruck?
„Despotisch“ klingt sehr negativ. Sie wussten eher, was sie wollten, und versuchten das bis an die Grenzen durchzusetzen.
Eine dieser Grenzen dokumentiert ein aufbrausendes Karajan-Zitat. Beim Tremolo der Berliner Streicher forderte Ihr damaliger Chef einen Kraftakt, bis dass der Arm abfällt". Drohte Ihnen ähnliches bei Ihrem ersten Tremolo unter Celibidache?
Nein. Da lagen Welten dazwischen. Celi differenzierte stärker. Sollte das Tremolo eine Erregung darstellen oder das Funkeln der Sterne oder im Morendo einen Ruhezustand einleiten? Celibidache dachte immer in emotionalen Zwischenwerten; da konnte - im Vergleich zu Berlin - Tremolo nicht einfach Tremolo sein. Karajan begnügte sich mit kurzen Anweisungen. Man hörte gerade einmal ein ,,zu laut" oder ein ,,zu leise". Natürlich gab er auch thematische Ansätze, aber nur minimal. Insofern wurde man als Musiker mit den Funktionsstrukturen der Stücke nicht befasst. Bei Celi war es genau das Gegenteil: Er wollte, dass jeder Musiker wusste, warum er dies und jenes zu tun hatte. Das stieß nicht überall auf Bewunderung. Die ersten Jahre mit Celibidache waren hier in München ein permanenter Kampf, an dem das Orchester auch hätte zerbrechen können. Es gab aufgekündigte Freundschaften, Menschen scheiterten in ihren persönlichen Beziehungen.
Warum polarisierte Celibidache die Musiker so stark? Nur aufgrund seiner musikalischen Auffassung? 0der spielte auch sein philosophisches Verhältnis zum Zen-Buddhismus eine Rolle?
Darüber wurde in einer Probe nie geredet. Es ging wirklich nur um sachliche Aufbereitung. Was dann eventuell im Konzert geschah, musste jeder Musiker selbst mit seinen Empfindungen ausmachen. Aber in der Vorbereitung, im Ordnen der Strukturen, war von Zen nie die Rede. Die Polarisierung kam eher durch seine musikalischen Extremforderungen an jeden Einzelnen.
Doch Celibidaches Tempiwahl gerade bei Bruckner hing sehr stark mit seiner philosophischen Auffassung von Zeit zusammen. Wie kommentierten die Orchestermusiker diese gewiss nicht alltäglichen Tempi?
Es gab sehr verschiedene Meinungen. Ich persönlich hatte oft den Eindruck, dass man in einen transzendentalen Bereich vorstößt. Ich erinnere mich an die vierte Sinfonie Bruckners im Wiener Musikvereinssaal, wo ich plötzlich das Gefühl hatte, jetzt passiert keine Musik mehr, das ist auf einer anderen Ebene. Wir sind zu einer Einheit geworden, die vielleicht mit Zen etwas zu tun haben kann – oder mit Göttlichkeit. Und dies muss sich ja nicht ausdrücklich auf Zen beziehen.
Gibt es einen Nachfolger für Celibidache?
Wie wir alle wissen, rangiert James Levine auf Platz eins im Orchester und bei den Gesprächen im Stadtrat.
Aber James Levine verkörpert das komplette Gegenbild zu dem, was Celibidache zeit seines Lebens wollte. Glauben Sie mit James Levine auch zu jenen höheren Sphären gelangen zu können?
Man sollte nicht voreingenommen sein. Wenn jemand in einem geistigen Rahmen wie Amerika - ich sage das ohne Wertung - aufwächst, hat er natürlich andere Klangvorstellungen. Aber immerhin muss man auch wissen, dass Walter Levin vom LaSalle-Quartett der große Mentor von James Levine war, ihn sozusagen seine gesamte Jugend hindurch begleitet hat. Außerdem wird das 0rchester fähig sein, Levine das Vermächtnis von Celibidache anzubieten...
Was ist das Vermächtnis von Celibidache?
Zum Beispiel diese Phrasierung der Mittelstimmen, die Phrasierung eines Pizzikatos, das nicht gleichförmig daherkommt, sondern singend-musikalisch ist. Nennen wir es ruhig eine Verbindung von Technik mit Celibidaches Klang-Bewusstsein. Ich bin überzeugt, gerade das ist der Reiz für James Levine. Wenn ihm das die Musiker nicht anbieten könnten, wäre es ein 08-15-Orchester, für das er bestimmt nicht nach München kommen wollte.
Die Münchner Philharmoniker sind in Amerika praktisch unbekannt. Auch in Deutschland konnten das Orchester nur all jene erleben, die in die Philharmonie am Gasteig pilgerten. Das entsprach Celibidaches Philosophie. Leidet das Orchester unter seiner weltweiten Profillosigkeit?
Mir persönlich macht das nichts aus, weil ich schon in Berlin Aufnahmen gemieden habe. Aber selbstverständlich wäre es für das 0rchester besser, wenn es bekannter wäre. Wenn jetzt die EMI-Edition herauskommt, wird das für das 0rchester sehr positiv sein. Auch Celibidaches Ideal wird mit den CDs nicht angekratzt. Ich sehe Celis Verweigerung von Schallplattenaufnahmen als ganz pragmatischen Punkt: Er wollte sich nicht stören lassen. Er wollte seinen Weg gehen. Und er wusste genau, wenn er Schallplatten macht, kommt er nicht an den Verhandlungen, an dem Geschäft vorbei und an den Rückfragen der Tonmeister ,,Können wir das nochmal machen?". In Berlin habe ich dieses ,,Nochmal" oft erlebt: Es wurde dann manchmal schlechter und passte überhaupt nicht in den gesamten Ablauf. Insofern war seine Entscheidung völlig richtig. Aber er hat bestimmt immer daran gedacht - sonst hätte er nicht alles aufnehmen lassen. Dass sein Sohn nach seinem Tod das Material veröffentlichen würde, hat er hundertprozentig gewußt.
Andreas Günther (FonoForum Dezember 1997)
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