Die Rache des Meisters
Jetzt also steht die fette Box mit 12 CDs da: Sergiu Celibidaches Aufnahmen von sieben Bruckner-Sinfonien (Nummer Drei bis Neun), einer Messe und dem „Te Deum“, die er zusammen mit den Münchner Philharmonikern in den letzten Jahren gespielt hat, und die mit Duldung des Maestros mitgeschnitten wurden. Weihevoll ernst legen wir die erste CD in die Lade. Wenn dann Stunden später die letzte Platte wieder aus der Lade herauskommt, dann sind wir schlauer.
Natürlich spielen die Philharmoniker gut, fabelhaft und im gleichen Atem mit Celibidache. Erinnerungen an Sternstunden werden wach, an große Gefühle, an spannende Momente zwischen Stillstand und letztem Glück. Doch es bleibt bei den Erinnerungen. Denn Celibidaches Bruckner wirkt trotz aller grandios gelungener Momente nicht lebendig. Schon allein, weil sich das eigene Wohnzimmer nicht in eine Ersatzkirche verwandelt: Celibidache konnte diesen Trick in der Münchner Philharmonie durchaus bewerkstelligen. Sein grandioses Verlangsamen des Satzes wirkt auf Platte ziellos: denn es war auf diesen einen Riesenraum berechnete, in dem der Dirigent die letzten zwanzig Jahre seines Lebens fast ausschlißlich gearbeitet hat. Dort, in der Philharmonie, machten diese Tempi Sinn als Grenzgänge entlang am Unerhörten. Auf Platte sind sie nur unerhört langsam.
Auch die Lautstärke ist ein Problem. Bruckners Musik manifestiert sich zwischen Unhörbarkeit und Detonation. Dieses Spektrum ist auf Platte lächerlich klein. Der herausposaunte Glaube kann im Saal überwältigen, erheben und packen. Ein Effekt, den man daheim selbst dann nicht erreicht, wenn man die Anlage ganz aufdreht – und dann muß man lärmempfindliche und unmusikalische Nachbarn von Celibidaches Qulitäten überzeugen. Ein Ding der Unmöglichkeit.
Solche und ähnliche Überlegungen produziert das Hören dieser Platten. Und langsam dämmert einem, warum Celibidache trotz seiner Schallplatten-Verachtung die Produktion dieser CDs nie ausdrücklich untersagt hat: Anscheinend war er davon überzeugt, daß sich sein Bruckner nicht auf Platte einfangen lassen könnte. Und Recht hat er gehabt, der alte Hexenmeister. Diese CDs jetzt sind seine Rache.
(15.9.1998 Süddeutsche Zeitung Reinhard J. Brembeck)