Fono Forum Dezember 1993
Neue Musikbücher
Seit seinen ersten Auftritten im Berlin der Nachkriegsjahre hat Klaus Weiler die musikalische Entwicklung Sergiu Celibidaches verfolgt, persönlichen Kontakt zu ihm aufgenommen sowie Kurse, Proben und natür1ich Konzerte des Dirigenten besucht. Bis auf die Zeit der Orchesterleitung Celibidaches in Kopenhagen und Stockholm in den 60er Jahren hat Weiler den Musiker ununterbrochen hautnah erlebt. In drei umfangreichen Kapiteln wird die Entwicklung vom designierten Nachfolger Furtwänglers über die Leitung des Kölner Rundfunk Sinfonieorchesters, die Hauptdirigententätigkeit beim Südfunk- Sinfonieorchester Stuttgart bis hin zur Rolle als Generalmusikdirektor in München beschrieben. Viele Konzerte und die zahlreichen Turbulenzen, für die der eigensinnige und sendungsbewusste Musiker bis auf den heutigen Tag sorgte, werden in aller Ausführlichkeit dargestellt, wobei Weilers Perspektive die des begeisterten Gefolgsmanns ist, der aus seiner glühenden Verehrung für den Meister keinen Hehl macht. Eine entsprechende Bewertung der Probleme, die sich zwischen Dirigent und Stadtverwaltungen, einzelnen Musikern, Solisten, Kritikern oder Dirigierkollegen ergaben, ist damit gleichsam vorprogrammiert. Die Chronologie der Ereignisse liest sich denn auch wie die Geschichte eines Martyriums, das der Genius in einer ignoranten oder gar böswilligen Welt durchlitten hat. Während hier, bei den profanen Geschäften des Musikbetriebs, der Autor selbst die Verteidigung übernimmt, geschieht die Beschreibung und Beurteilung der Konzerte Celibidaches durch Verwendung von Zitaten aus ausgewählten Konzertbesprechungen. Die Befangenheit Weilers geht so weit, dass sogar Leserbriefschreiber, die sich irgendwann einmal kritisch zu Celibidache äußerten, nicht nur namentlich genannt, sondern auch eines Besseren belehrt werden.
Im vierten und letzten Kapitel versucht Weiler dann, Begründungen für Celibidaches Unvergleichlichkeit zu geben. Vor allem die extrem breiten Tempi des Dirigenten werden als dem Wesen der Musik und der Suche nach dem ,,Absoluten" einzig gerecht werdende Haltungen beschrieben. Dazu kommen die Instrumental- und Artikulationsretuschen, die als kongeniale Maßnahmen eines die Komponisten wahrhaft begreifenden Hellsehers erscheinen, sowie Celibidaches Engagement für zeitgenössische Musik. Insgesamt wirkt dieser Teil am interessantesten, werden hier doch Begründungen und Erklärungen geboten, die, wenn auch in jedem Punkt anfechtbar, doch immerhin deutlich machen, weshalb die Celibidache-Anhänger so fasziniert sind. Zwar können die drittklassigen Philosophie-Versatzstücke und trivialisierten zen-buddhistischen Weisheiten, die Weiler aufbietet, der Kunstreligion des 19. Jahrhunderts nicht mehr wirklich auf die Beine helfen. Für die Nobilitierung eines ausführenden Musikers zum göttlichen Gesandten, der mit dem Absoluten musikalisch gewissermaßen auf Du und Du steht, wird damit aber viel erreicht. Der Band schließt mit einer ausführlichen Biografie und einer Auflistung sämtlicher, von Celibidache je dirigierter Werke.
(Bernhard Uske in FonoForum Dezember 1993) ©Copyright FonoForum
Klaus Weiler: Celibidache. Musiker und Philosoph
Franz Schneekluth Verlag, München
1993, 400 S.