Fono Forum Juli 1995
Neue Musikbücher

FonoForumDie einen vergöttern ihn als letzten Pult-Metaphysiker, die anderen ächten ihn als maßlosen Polemiker und radikalen Verweigerer der Tonkonserve: Sergiu Celibidache, seit 1979 Chef der Münchner Philharmoniker. Legendär sind nicht nur seine Anfänge im Trümmer-Berlin als Statthalter Furtwänglers bei den Berliner Philharmonikern, sondern auch die Dauer seiner Bruckner-Sinfonien, sein Probenfanatismus, die unbarmherzige Kollegenschelte. Nun ist eine neue Biographie über den Dreiundachtzigjährigen erschienen. Geschrieben hat sie,,Spiegel"-Redakteur Klaus Umbach, einschlägig vorbekannt als Autor der ,,Geldscheinsonate".


Wer annimmt, daß der Zusammenprall von beißender ,,Spiegel"-Schreibe und galliger Journalistenverachtung in fulminanter Hochspannungslektüre resultiert, wird nicht enttäuscht. Tatsächlich bedienen vor allem die Kapitel-Headlines das reißerische Idiom von Umbachs journalistischem Über-Ich. In Darstellung und Recherche indes gelingt es ihm überzeugend, auch dem subtileren Über-lch des schwierigen Maestro gerecht zu werden. Dies nicht nur Zeichen einer geheimen Faszination, sondern auch Frucht einer intensiven, mehrjährigen Zusammenarbeit. Korrumpiert hat das aber offenbar keinen von beiden: Umbach bleibt immer jenseits von Weihwasser oder Galle bei fairer Reportage - und Celi wollte weder Manuskript noch Buch lesen.


So erfahren wir in acht Kapiteln wenig Bekanntes aus Celis rumänischer Jugend, der Aufbauarbeit mit den Berliner Philharmonikern 1945, wo der fremde Nobody über Nacht zum genialen Faszinosum wird, und aus den bunten Wanderjahren durch viele Länder nach Furtwänglers Rückkehr und Karajans Nachfolge. Revue passieren die italienischen Jahre, die festen Stationen in Kopenhagen, Stockholm und beim RS0 Stuttgart, schließlich seine letzte Herausforderung als GMD in München, wo er die Philharmoniker in die musikalische Spitzenliga führt. Beleuchtet werden seine Klasse als Orchestererzieher, wahrscheinlich Celibidaches größte Leistung, der Wandel vom vulkanischen Irrwisch zum philosophierenden Guru und absoluten Verfechter einer prämodernen Konzert-Metaphysik des ,,Hier und Jetzt". Zur spannenden Chronik kulturpolitischer und feuilletonistischer Grabenkämpfe in München gibt es schließlich den reizvollen Kontrapunkt der pastoralen Familienidylle aufdem französischen Landsitz, wo wir - wen wundert's - einen Blick auf Celis Kompositionsskizzen werfen dürfen. Umbach läßt kein Urteil Celis über die Dirigierkollegen aus, arbeitet die Skandale um die Auftritte von Anne-Sophie Mutter bis Jessye Norman auf und beleuchtet die fragile Beziehung zum wahlverwandt schwierigen Arturo Benedetti Michelangeli.


Statt Reflexion und Deutung bevorzugt er allerdings eher ausführliche Zitate aus Zeitungskritiken. Zu kurz kommen auch alle Fragen der musikalischen Interpretation. Enttäuscht wird, wer sich Aufschluß über die Hintergründe von Celis musikalischer Weltanschauung erhofft, vor allem seine intellektuelle Verbindung zur Phänomenologie Husserls. Umbach erledigt das zentrale Thema journalistisch elegant, aber ohne Tiefgang mit einer Zitaten-Batterie aus Celis einschlägigen Kursen: Ungerührt läßt er die Sphinx im eigenen Nebel wabern.


Trotzdem entstand ein umfassendes, faires und konturenscharfes Portrait des ,,anderen Maestro", ebenso spannend für Liebhaber wie für Verächter. Klaus P. Richter

Klaus Umbach
Celibidache - der andere Maestro.
Piper Verlag, München
1995, 336 S., 16 s/w Fotos

(Klaus P. Richter in FonoForum Juli 1995) ©Copyright FonoForum

Buchcover


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