Celibidache - typisch und untypisch
Die Werke auf den beiden CDs der dritten Folge innerhalb der Celibidache-Edition der Deutschen Grammophon gelten als hochvirtuos, hervorragend instrumentiert und mehr auf äußerliche Wirkung zielend als im Inneren kohärent. Warum beschäftigte sich Celibidache mit Strauss` Sinfonischen Dichtungen, die seinem eigenen Musikverständnis (Kontinuität des absolut musikalischen Verlaufs) scheinbar so diametral gegenüberstanden? Bei "Ein Heldenleben" erscheint diese Fragestellung am dringendsten, denn hier wird Strauss konkret: Die sechs Teile des Werks hat er mit Überschriften versehen, die er mit allen ihm zur Verfügung stehenden sinfonischen Ausdrucksmitteln klanglich umsetzt. Was wir hier von Celibidaches Stuttgarter Orchester zu hören bekommen, lässt uns mit einer einzigen Ausnahme, nie in Phantasien entfliehen; der musikalische Verlauf hält seine Spannung konsequent aufrecht. Die Problemstelle (Strauss' Selbstzitate in "Des Helden Friedenswerke") nimmt Celibidache ganz beiläufig, desavouiert den Komponisten keineswegs, vermeidet alles Peinliche. Obwohl die Aufnahme die bei weitem breiteste des ganzen Katalogs ist, entsteht nie der Eindruck des Überpointierten, des schwelgerischen Sich-Verlierens. Der größte Verdienst Celibidaches besteht in seiner geradezu schlafwandlerisch sicheren, dabei höchst bewussten Erkenntnis der Proportionen eines Werks und des Verhältnisses zwischen Spannung und Entspannung sowie in seinem konsequenten ausmusizieren der Extreme. Nirgendwo sonst erleben wir so viel hingebende Wärme ("Des Helden Gefährtin"), solch trocken-sarkastischen Witz ("Des Helden Widersacher"), gar so sinnvoll phrasierten "Krach" ("Des Helden Walstatt"). Eine Aufnahme, die uns das Werk in all seinen Dimensionen und Konsequenzen zeigt, es ernst nimmt und notwendigerweise rehabilitiert als das, was es ist: bei allen Schwächen sinfonisch-kohärent und groß. Weit weniger problematisch stellen sich "Don Juan" und "Tod und Verklärung" dar: Ist es im ersteren Werk vor allem das Verhältnis von forderndem Impetus und lyrischer Hingabe, das uns so unmittelbar-selbsverständlich anspricht, so erleben wir im letzteren ein faszinierendes Amalgam aus zartester melodischer Nostalgie, fieberhaften Ausbrüchen bis zur Erschöpfung und einer Verklärung, die ihre Spannung durch genaueste Beachtung der dynamischen Vorschriften hält. Allen Strauss-Aufnahmen gemeinsam ist ihr hohes orchestrales Niveau sowie ein durchsichtiges, in allen Frequenzbereichen rundes Klangbild.
In der vierten Folge der Edition begegnen wir mit einigen Hauptwerken des französischen Impressionismus, Celibidaches typischstem Repertoire. Hört man z. B. die Berliner Aufnahme der "Jeux" von 1948, so spürt man sofort seine starke Affinität zu dem ungeheuren Farbenreichtum dieser Musik, gleichzeitig jedoch die Negation jeglicher Weichzeichnung, die auf Kosten der musikalischen Kontinuität ginge. In den Aufnahmen aus Stuttgart, wo er ein Orchester vorfand, dessen Virtuosität und, im Vergleich etwa mit den Münchner und Berliner Philharmonikern, schlankerer, kühlerer Klang französischer Musik besonders entgegenkam, wird dies besonders deutlich.
Hört man diese klangtechnisch präzisen und unverfälschten Aufnahmen genau an, wird ziemlich bald evident, was den singulären Rang Celibidaches als Dirigent dieser Musik ausmacht: Man hört einfach mehr. Plötzlich wird klar, was man so oft vermisst: Kontinuität des musikalischen Verlaufs anstelle von Farben oder Instrumentierungs-Kunststücken um ihrer selbst willen. Dadurch wird die oft vermisste "horizontale" Qualität dieser völlig stringenten musikalischen Entwicklungen deutlich. Welch harter Arbeitsprozess z. B. bei einer so diffizilen Partitur wie "La Mer" erforderlich ist, um die Selbstverständlichkeit dieser Prozesse zu erreichen, kann man anhand der beiliegenden Proben-CD (1. Satz) erfahren.
Bei den Ravel-Aufnahmen begeistern neben den großen bacchantischen Orchester-Orgien ("Danse generale" aus "Daphnis et Chloe", "La Valse"), deren Wildheit und urwüchsige Kraft man selten so unmittelbar erfahren kann, vor allem die entzückenden Kleinformen (z. B. Malaguena und Habanera aus der "Rapsodie espagnole"), deren einfach-raffiniertem Zauber man sich nicht entziehen kann. Diese Folge der Edition stellt ein Musterbeispiel für die konsequente Einheit von Form und Inhalt, von Farbenreichtum und musikalischer Kontinuität dar und gehört in jede CD-Sammlung.
Ludwig Robeller in FonoForum März 2000 ©Copyright FonoForum
Interpretation: *****
Klang:****