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Das große Ereignis:

32 Jahre weigerte sich der rumänische Stardirigent Sergiu Celibidache, Schallplatten aufzunehmen. Jetzt warf er sein Prinzip über Bord.

Kinderhilfswerk

Man könnte meinen, er sei das Großmaul der Musikwelt. Wenn er etwa in einer Fernsehdiskussion demonstriert, wie Herbert von Karajan Ludwig van Beethovens Fünfte "für Frau Schneider in der ersten Reihe dirigiert und dabei wichtige Details außer acht läßt", dann sieht man seinen lausbübisch blitzenden Augen an, wie sehr er seine Bosheit genießt. Wer Sergiu Celibidaches Dirigierkurs in Trier erlebt hat, könnte ihn für den Schleifer Platzek der Musikszene halten. Die armen Eleven machen in seinen Augen jede, aber auch jede Handbewegung verkehrt.

Doch der Schein trügt. Die aus aller Welt angereisten Schüler erhalten bei dem heute 68jährigen Maestro entscheidende Impulse. Und hinter der Grobheit, mit der dieser Exzentriker Wahrheiten und Übertreibungen serviert, verbergen sich übergroße Sensibilität und ein weiches Gemüt. Der gebürtige Rumäne Celibidache ist zweifellos einer der bedeutendsten Dirigenten seiner Generation. Und er hat - wie er jetzt bewies - ein Herz für Kinder.

Um die Kinderhilfsorganisation UNICEF zu unterstützen, ist er sogar wortbrüchig geworden. Eines seiner hehrsten Prinzipien seit 1948 lautete nämlich: "Nie wieder mache ich eine Schallplatte". Jetzt ist doch eine auf dem Markt, und sie ist die vorläufig erste und möglichweise einzige Frucht des Wortbruchs: "Der Taschengarten". Celibidache dirigiert Celibidache. Das 1979 uraufgeführte Dreiviertelstunden-Werk hat er Kindern zugedacht, die keinen Spielgarten haben.

Wenn der auch bei Wohltätigkeitsplatten nicht alltägliche Verzicht auf sämtliche Tantiemen - Celibidache und Mediaphon-Boß Dr. Udo Unger lassen pro verkaufter Platte den Rekord-Beitrag von fünf Mark an die Kinderhilfsorganisation UNICEF überweisen - Selbstlosigkeit beweist. so darf man doch ein Stückchen Eitelkeit, sich endlich als Komponist präsentieren zu lönnen, als legitime Eigenmotivation verbuchen.

Denn der Komponist Celibidache ist, wie das vielen großen Dirigenten geht, trotz vier Sinfonien und etlichem anderem bislang eine weitgehend unbekannte Größe. Er beherrscht bestens sein Handwerk, das kann man beim Anhören des "Taschengartens" respektvoll feststellen. Im Gefolge Gustav Mahlers, Maurice Ravels und Serge Prokoffjews sind hier glänzend instrumentierte, stimmungsvolle Impressionen entstanden. Man denkt nicht gerade an den Igel, den Käfertanz und den Nachtgesang der Fische, wie es die allzu putzigen, fünfsprachig abgedruckten Texte zu den einzelnen Sätze nahelegen. Denn außer dem eingängigen Anfangs- und Schlußstück ist es nicht unbedingt Musik, die Kinder glücklich machen dürfte. Dafür ist das meiste zu getragen, zu raffiniert, zu pathetisch zerklüftet.

Allerdings ist es eine Musterplatte für die Kunst des Dirigenten Celibidache. Man hört staunden, was er seit 1972 aus seinem Radio-Sinfonieorchester Stuttgart gemacht hat (seltsamerweise hat der Plattenfeind Celibidache in den letzten Jahrzehnten vor allem mit Rundfunkorchestern gearbeitet, die ähnlichen Aufnahmebedingungen unterworfen sind).

Man kann sich, wenn man Celibidache im Konzertsaal erlebt hat, allerdings auch vorstellen, wieviel mehr an dynamischen Werten und an Transparenz als in dieser gewiß lobenswerten Aufnahme live noch mehr drin ist. Daß die Dynamik bei den bisherigen Aufnahmeverfahren trotz ständiger Verbesserungen letztlich eingeebnet wird, war einer der Hauptgründe für den Dynamiker Celibidache, die Plattenstudios zu meiden. Wenn man seine Mozart- und Tschaikowski-Platten aus den vierziger Jahren hört, kann man die Enttäuschung verstehen.

Auch Celibidache-Mentor Wilhelm Furtwängler litt im Plattenstudio, wollte sich aber dem Zug der Zeit nicht verschließen. Celibidache, der zum Karrierestart ab 1946 die Berliner Philharmoniker als Platzhalter des politisch belasteten Furtwängler leitete, war hier nicht kompromißbereit. Dies war ein sehr wichtiger Punkt, warum die "Berliner" sich nach Furtwänglers Tod für den Medienstrategen Karajan entschieden und Celibidache auch sonst keinen Chefposten bei einem Spitzenorchester angeboten bekam. Celibidaches Abneigung gegen Opern mag sich ebenso karrierehemmend ausgewirkt haben. Auch eine Pult-Primadonna muß eben mit den Wölfen heulen.

Vielleicht aber beschert die Digitaltechnis mit ihrer ungleich größeren dynamischen Bandbreite Celibidache ein spätes Damaskus-Erlebnis: Aus einem Plattenmuffel könnte durchaus ein Plattenstar werden.

(Werner Bruck in Audio September 1980) ©Copyright Audio

Spende für UNICEF

Foto: Die erste Spende für UNICEF: Celibidache-Sohn Serge überreicht Dr.Veronica Carstens, UNICEF-Schirmherrin, 50.000 DM per Scheck.

LP Cover

LP TaschengartenLP Taschengarten

Fotos der Plattenhülle und aus den aufklappbaren Innenseiten (Mediaphon 1980)

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