Rezension der LP in FonoForum
Ein sehr künstlerischer, in der Realisierung etwas esoterischer Beitrag zum Thema Kinder- Schallplatte. Trotz stilistischer Anlehnung eine eigenständige, angesichts der Person Celibidaches und seiner Profession als Dirigent erstaunliche kompositorische Leistung.
SERGIU CELIBIDACHE, Der Taschengarten; Radio-Sinfonieorchester Stuttgart,
Sergiu Celibidache;
Intercord 160.832 (1S30)
Klangbild: Mittenbetonte Frequenzbalance,
ausgewogene Instrumentengruppenbalance,
präsent gute Klangfarbenwiedergabe
bei großer und sehr gut
wiedergegebener Dynamik. Eine breite
Räumlichkeit mit guter Staffelung in die
Tiefe mit etwas, aber nicht störendem
Nachhall.
Fertigung: Etwas Plattenrauschen, sonst
einwandfrei.
Celibidache, der geborene Rumäne, der bei Fritz Stein in Berlin über Josquin promovierte und dann 1945 die Reste der Berliner Philharmoniker sammelte, gilt als dirigierender Exzentriker. Er strapaziert die Musiker auf Proben und die Kulturfunktionäre durch Interviews. In seinen Konzerten jedoch hören die Besucher keineswegs exzentrische Interpretationen, sondern partiturgetreue Wiedergaben klassischer Werke. Auf jeden Fall Bedeutsames. Celibidache ist ein Plattenfeind. Zumindest was eigene Aufnahmen betrifft. Es soll einige Mitschnitte geben. Decca hat vor Jahren in einer Dokumenten-Reihe die fünfte Sinfonie Tschaikowskys unter seiner Leitung mit dem London Philharmonie Orchestra vorgelegt - ein beeindruckendes Dokument. Nun erscheint als Benefiz-Platte für Unicef, also für das Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen, bei Intercord die Aufnahme einer Celibidache-Komposition, von ihm dirigiert und von seinem ehemaligen Stammorchester, den Stuttgarter Radio-Sinfonikern, gespielt: Der Taschengarten. Der nicht gezeichnete Hüllentext spricht von Geheimnissen für Kinder, die etwas hören oder fühlen sollen, was Erwachsenen verschlossen bleibt. Es handelt sich um eine sinfonische Orchesterkomposition in dreizehn Teilen, denen Texte zugrunde liegen. Über die Autoren gibt es auch hier keinen Hinweis. Für Kinder ist das Niveau dieser Musik zu hoch angenommen worden, zumal der kompositorische Stil, eindeutig an Charles Ives orientiert, trotz solcher historischen Naivität an kindlicher Naivität vorbeigeht.
Aber es ist ein unkonventioneller Beitrag zur Kinderhilfe, mehr für Erwachsene als für Kinder bestimmt, und er kann vielleicht die Erwachsenen dazu bringen, mehr für Kinder zu tun, als sie bisher getan haben. Solches hat Celibidache wohl auch im Sinn gehabt, als er seine Komposition für die Platte freigab.
Hanspeter Krellmann (FonoForum 9/1980) ©Copyright FonoForum