Musik und Meinung
Das hätte sich die Klassik-Welt nicht träumen lassen: Sergiu Celibidache avanciert
zum CD-Star. Der große Verweigerer kehrt ein in die privaten Wohnzimmer, in
die Wiederholbarkeit - wo er sich zeit seines Lebens (1912 - 1996) nie sehen
wollte. Denn Musik konnte und durfte nach seiner Überzeugung nur zu einer Zeit,
in einem Raum sein. Was einige Protagonisten des Feuilletons als heldenhafte
Gläubigkeit überhöhen, verachtet die andere Seite als psychopathischen Spleen,
geboren aus der alten Feindschaft zu dem Medienvermarkter Karajan (den Celi
in einem berüchtigten Interview gar mit Coca-Cola verglich). Nun droht dem Unbeugsamen
die Vereinnahmung durch einen Weltkonzern - der Name des Maestros prangt neben
dem EMI-Signet. Pünktlich zur KlassikKomm zückte die EMI eine Kostprobe ihrer
Wunderwaffe gegen müde Käuferschichten: Celibidache - dem Namen nach vielen
bekannt, doch nur von den wenigsten live erlebt. So steht der Run der Käufer
an die Händlertische außer Frage: Sie werden kommen und in Massen. Was die gläubigen
Anhänger Celibidaches in Aufruhr versetzt. Schließlich wird hier "ihr" Meister
geschändet, von Nichteingeweihten zur Morgengymnastik mißbraucht und der Beliebigkeit
anheimgegeben. Der größte unter den Frevlern ist bereits ausgemacht: der ungetreue
Sohn. Serge Ioan Celebidachi habe das Erbe des Einzigartigen verschachert.
Hinter den aufbrausenden Bannflüchen der Eingeweihten verbirgt sich die bekannte
Mischung aus Glauben und Unkenntnis. Zum ersten: Der alte Mann war selbst in
seinen letzten Lebenstagen noch nicht so senil, als daß er die Mikrophone über
seinem markanten Schädel und den Münchner Philharmonikern nicht erblickt hätte
- er wußte, daß er belauscht wurde. Zum zweiten: Hätte der Meister die mitgeschnittenen
Bänder sicher vor der Nachwelt verstecken wollen, so hätte eine juristisch wasserdichte
Phrase im Testament genügt - doch nichts Vergleichbares ließ sich finden. Zum
dritten: Der Sohn enthält sich des kommerziellen Gewinns und läßt alle Einnahmen
der Celibidache-Edition in zwei Stiftungen fließen - für musikalische Ausbildung
und humanitäre Aktionen.
Zugegeben: Punkt drei klingt für Kenner des Klassikgeschäfts eine Spur zu schön
- hier wird später einmal der kritische Blick auf das Konto Rechenschaft geben
müssen. Aber nehmen wir an, dem sei so: Dann hätte der Celi-Sohn in mehr oder
minder geheimem Einverständnis mit seinem Vater gehandelt und durch seine Tat
auch allen CD-Piraten das Wasser abgegraben. Zugleich kann eine breitere Öffentlichkeit
nachvollziehen, was Rang und Ruf des großen Rumänen ausmachte. Wobei Serge Celebidachi
jeder CD ein paar weise Sätze mit auf den Weg gibt. Eine Erklärung, die so verletzbar
dasteht, daß man sich ihr noch vor leichtfertigem Spott zuerst menschlich nähern
sollte: "Alles, was mir von meinem Vater geblieben ist, sind wunderschöne Erinnerungen.
Seine Fotografie kann ich heute mit einem aufrichtigen Lächeln betrachten. Das
Foto ist nicht mein Vater, und doch ist es für mich ein kostbares Dokument(...)
Ein Live-Mitschnitt ist selbst keine Musik, doch er kann daran erinnern, daß
die aufgezeichneten akustischen Signale früher einmal für kurze Zeit Musik waren."
Die ersten elf CDs der autorisierten Celibidache-Edition werden Ende November
in den Läden stehen. Pünktlich klärt FonoForum dann in seiner nächsten Ausgabe,
wieviel von Celis Geist drin sein kann, wo Celibidaches Name ach so medienwirksam
draufsteht.
Fono Forum Ausgabe November 1997 ©Copyright FonoForum