Die Celibidache-Edition bei EMI Classics - Ein klingendes Vermächtnis

SERGIU CELIBIDACHE
MÜNCHNER PHILHARMONIKER

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Die Celibidache-Edition bei EMI Classics -
Ein klingendes Vermächtnis


Mappe PressekonferenzViele haben von ihm gelesen oder gehört, ohne ihn je "live" erlebt zu haben. Denn Sergiu Celibidache (1912-1996) mied Zeit seines Lebens das Schallplattenstudio. So mussten die Celi-Fans lange Jahre nach München pilgern, um den legendären Maestro im Konzertsaal zu hören. Ein Jahr nach seinem Tod veröffentlicht EMI Classics nun die erste autorisierte Celibidache-Edition - ein klingendes Vermächtnis.
Von 1979 bis 1996 arbeitete Sergiu Celibidache mit den Münchner Philharmonikern zusammen. Und obwohl Celibidache meinte, daß sich Musik nur "live" wirklich erfahren lasse, wurden nahezu alle Münchner Auftritte mit der Zustimmung des Dirigenten mitgeschnitten. So entstanden Aufnahmen von rund 200 Werken.
Serge Celebidachi, der Sohn des Dirigenten, hat nun der Veröffentlichung des klingenden Erbes zugestimmt. Zwei Gründe sprachen dafür: "So wie mich eine Fotografie meinem Vater näherbringt, kann uns eine CD helfen, seiner Musik näher zu kommen. Sie ist daher eine Erinnerung von unschätzbarem Wert." Außerdem sei es ihm natürlich nicht entgangen, dass immer mehr unautorisierte Celibidache-Aufnahmen durch sogenannte "Piraten" auf den Markt kämen. "Das Werk meines Vaters wird von diesen ,Piraten' nicht nur geplündert, sondern zudem in derart schlechter Klangqualität überspielt, daß ein haarsträubender Eindruck von seinen Konzerten entsteht" , sagt Serge Celebidachi. Mit einer hochwertigen offiziellen Ausgabe soll diese Piraterie bekämpft werden. Verdienen will die Familie des Dirigenten nichts daran. Vielmehr fließen die Gewinne in zwei Stiftungen: Die "Celibidache Foundation" soll Musikstudenten unterstützen, "S. C. Help" humanitäre Hilfe leisten.
Zum Auftakt der Edition veröffentlicht EMI Classics Ende September eine Doppel-CD (5 56529 2): Mussorgskys Zyklus "Bilder einer Ausstellung" - in der Orchestrierung Ravels - erscheint gemeinsam mit Tschaikowskys Ballettmusik "Romeo und Julia". Auf der zweiten CD kommt der Maestro selbst zu Wort, in Interview-Ausschnitten mit Günter Specovius.
Fortgesetzt wird die Reihe noch in diesem Jahr mit einer Box (5 56517 2), die 11 CDs enthält: Sinfonien von Haydn, Mozart, Beethoven, Tschaikowsky und Schumann, zudem Werke von Debussy und Ravel sowie Ouvertüren und Szenen aus Wagner-Opern geben einen repräsentativen Überblick über die Interpretationskunst Celibidaches, der die Münchner Philharmoniker zu einem weltweit beachteten Klangkörper gemacht hat. Zehn CDs sind auch einzeln erhältlich, doch die elfte gibt es nur in der Box - und sollte man sich Celibidaches Lesweise von Bart6ks "Concerto für Orchester" - einschließlich der Proben - entgehen lassen?
Es dauerte etliche Jahre, bis Celibidache im deutschen Musikleben wieder eine führende Rolle spielte. Als er im Juni 1979 als Nachfolger von Rudolf Kempe die Leitung der Münchner Philharmoniker übernahm, begann für den Dirigenten und das Orchester eine neue große Ära. Seine Konzerte bekamen sehr bald Kultstatus, die Fans pilgerten in die Bayern-Metropole, um den legendären Musiker-Philosophen "live" zu erleben - zumal er seine Konzerte zwar mitschneiden ließ, doch niemals zur Veröffentlichung auf Schallplatten freigab. Die Entscheidung über eine Veröffentlichung dieser Dokumente nach seinem Tod übertrug Celibidache seinem Sohn Serge.
Nach reiflicher Überlegung hat sich Serge Celebidachi für eine Veröffentlichung entschieden und mit dieser verantwortungsvollen Aufgabe EMI Classics betraut. Somit handelt es sich bei dem Projekt um die erste autorisierte Celibidache Edition überhaupt.
Berühmt waren Celibidaches langsame Tempi, ebenso seine perfekte Schlagtechnik, seine Liebe zur klanglichen Differenzierung und sein künstlerischer Verstand. Noch einmal Gerhard R. Koch: "Celibidache hat es mit der Musik ernst gemeint. Er kannte die Partituren auswendig bis in die kleinsten Verästelungen, hielt sich nicht ans schlichte Schema von Melodie plus Begleitung, sondern tüftelte unablässig am Verhältnis von Linie und Klang, Horizontaler und Vertikaler, Rhythmus und Harmonik, Klang und Struktur, mikroskopischem Detail und schier unendlicher Großform. " Wer sich die Münchner Konzerte Celibidaches jetzt auf CD anhört, wird dieses Urteil bestätigen können.

 

Faszinosum Celibidache
"Dass Celibidache eine immense Begabung war, ein Besessener, daran hat es seit seinen Anfängen nicht den geringsten Zweifel gegeben. Nicht minder indes war der Ruf, ein ganz besonders Schwieriger zu sein. Diese Spannung hat das Faszinosum Celibidaches ausgemacht."
Gerhard R. Koch

Der FAZ- Redakteur Gerhard R. Koch brachte es in seinem Nachruf auf den Punkt. Denn kaum ein zweiter Musiker wurde so kontrovers diskutiert wie der am 14. August 1996 in Paris verstorbene Sergiu Celibidache.
Das Talent war Celibidache in die Wiege gelegt worden, als er am 28. Juni 1912 als Sohn einer Pianistin und eines musikbegabten Kavallerieoffiziers in Roman in Rumänien das Licht der Welt erblickte. Und seine musikalische Begabung förderten die Eltern früh. Trotzdem begann er an der rumänischen Universität Jassy zuerst ein Studium der Mathematik und Philosophie, bevor er sich immer mehr der Musik zuwandte.
Auch in Berlin, wo er ab 1936 sein Studium fortsetzte, besuchte Celibidache noch Mathematikvorlesungen - und die Philosophie - besonders die Phänomenologie Edmund Husserls - ließ ihn ebenfalls nicht los. "Denn Dirigieren war für ihn nicht einfach Musikmachen, sondern tönendes Zur-Erscheinung-Bringen philosophischer, kompositorischer und akustischer Prinzipien", beschrieb Koch den sich daraus entwickelnden Ansatz des Dirigenten. Daß Celibidache mit einer Dissertation über die Kompositionstechnik des Renaissance-Komponisten Josquin Desprez zum Dr. phil. promovierte, passt ins Bild des intellektuellen Interpreten, dessen überschäumendes Temperament jedoch die Kehrseite der Medaille bildete.
Im Februar 1946 bekam Sergiu Celibidache die Chance seines Lebens: Das Philharmonische Orchester Berlin wählte ihn zu seinem Dirigenten auf Zeit, da Wilhelm Furtwängler noch auf seine "Entnazifizierung" wartete und mit einem Dirigierverbot belegt war. Fünf Jahre dirigierte Celibidache die Berliner - mit Leidenschaft und Präzision. Nach 414 Konzerten übergab er dem zurückkehrenden Furtwängler ein Orchester in Hochform.

Umso mehr kränkte es Celibidache, daß sich die Berliner im Dezember '54, nach Furtwänglers Tod, nicht für ihn, sondern für Herbert von Karajan als neuen Chefdirigenten entschieden. Dabei gab wohl weniger die künstlerische Seite den Ausschlag als Celibidaches unberechenbares Temperament und sein Desinteresse an der Oper und an der Schallplatte.

 

CELIBIDACHES GEIST NACHSPÜREN ...
Gedanken zur Arbeit an den Archivbändern
von Marcus Herzog (Remastering
- Produzent)

Sergiu Celibidaches grundsätzliche und konsequente Ablehnung von Tonträgern als musikalischem Rezeptionsmedium - gern sprach er von »tönenden Pfannkuchens - beinhaltete auch ein abgrundtiefes Misstrauen gegenüber den Repräsentanten der Schallplattenbranche. Seine Abneigung gegen die Spezies Produzent, Tonmeister oder Tontechniker ist allgemein bekannt und war bei denen gefürchtet, die als solche mit ihm zu tun hatten. Man ging ihm bei einer Live-Aufnahme, so es denn zu einer kam, am besten aus dem Wege und versuchte, seine Arbeit so unauffällig wie möglich zu tun. Das Ergebnis interessierte ihn nicht, ja, er ignorierte es geradezu. War es aber nötig, dass er eine Aufnahme freigeben musste, so zitterte man, ob denn die winzigen Korrekturen, die man sich vorzunehmen erlaubt hatte - ein missglückter Ton hier, ein Wackler da - von ihm hingenommen werden würden. In Fachkreisen kursiert die Geschichte über einen Kollegen, der es gewagt hatte, einen Hornkiekser im dritten Satz von Bruckners Vierter Symphonie mit dem »da capo« zu flicken und der daraufhin vom Maestro nach dem Verbleib eben dieses Kieksers hochnotpeinlich befragt wurde. Celibidache argumentierte, dass auch dieser falsche Ton schließlich Bestandteil genau dieser Aufführung gewesen sei und damit einen Teil ihrer Einmaligkeit ausmache.
Die Veröffentlichung der Mitschnitte aus dem Archiv der Münchner Philharmoniker durch EMI Classics stellte uns vor eine reizvolle aber nicht unproblematische Herausforderung. Die Maßgabe der Erben Celibidaches und der EMI, man wolle eigentlich nur ungeschnittene, komplette Konzerte veröffentlichen, verleitet zu der vereinfachenden Annahme, man könne ja eigentlich direkt von den Originalbändern CDs pressen lassen ...
Die Frage ist nur, von welchen?
Die Konzertprogramme des Orchesters wurden in der Regel an vier Abenden gespielt, so dass die meisten Werke in vier Fassungen vorliegen. Im Falle einer »normalen« CD-Produktion, die später mit dem Vermerk » Live Recording« in den Handel kommt, würde man einfach beliebig oft zwischen den verschiedenen Fassungen hin- und herschneiden, um ein möglichst perfektes Ergebnis zu erzielen. Dieses Verfahren scheidet im Fall von Celibidache natürlich von vornherein aus.

Vielmehr galt es, aus den verschieden Konzerten das beste auszuwählen. Das kann nicht so schwierig sein, denkt man. Nur welches ist in diesem sehr speziellen Fall als das beste anzusehen? Das mit den wenigsten falschen Tönen? Das schnellste? Gar das langsamste - für den echten Celi-Fan? Ich habe versucht, all diese und ähnliche Kriterien, nach denen man sonst vorzugehen pflegt, beim Anhören der Konzertmitschnitte außer Acht zu lassen und mich ganz darauf zu konzentrieren, dem Geist Celibidaches in diesen Aufnahmen nachzuspüren. Wenn seine Absicht mit derjenigen der Musiker in perfekter Harmonie verschmilzt, entstehen Momente von unbeschreiblicher Kraft und Schönheit. Nach diesen Momenten habe ich gesucht und meine Wahl getroffen. Ich bin sicher, dass sie sich auch dem aufmerksamen Hörer dieser CD erschließen werden.